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Rolf Gindorfs Antwort
auf die Laudatio von Gunter Runkel:
"33 Jahre DGSS -
Dank und kein Abschied"
Liebe anwesende
Magnus-Hirschfeld-Preisträger,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Lieber Gunter,
Es enspricht sowohl guter Übung als auch einem Gefühl von
Dankbarkeit, dass ich mich jetzt für die eben ausgesprochene
Ehrung bedanke. Aber ich werde mich nicht zu all den eben über
mich gesagten wunderbaren Dingen äussern, sondern stattdessen ein
paar Worte über die von mir vor 33 Jahren gegründete DGSS
sagen. Wenn das wie eine neue Laudatio klingen sollte, bitte ich das
meinem hohen Alter sowie meinen 33 Jahren als Präsident und
Vizepräsident gutzuhalten.
Anfangs waren
Sexologen ganz
überwiegend Ärzte. Aber offensichtlich gibt es mehr am Sex
als nur Medizin, und im Jahr 1971 beschloss ich mit einigen Freunden,
dass die Sexualwissenschaft zu wichtig war, um sie nur den Ärzten
zu überlassen - die sich ja schliesslich vorrangig mit Krankheiten
bzw. Gesundheitsstörungen befassen. Irgendwas, so dachten wir,
müsse an dieser Einäugigkeit getan werden. Also
gründeten wir die DGSS (die anfangs noch GFSS hiess) nicht mit dem
Akzent auf Medizin, sondern auf den Sozialwissenschaften.
(Natürlich leugnen wir nicht die Wichtigkeit unserer medizinischen
Kollegen, die immer unserer Gesellschaft angehörten und etwa auf
diesem Kongress mehr als 20% der Referenten ausmachen.)
So hat die
DGSS also von Anfang an die
Bedeutung der Sozial-, Verhaltens- und Kulturwissenschaften für
ein angemessenes Verständnis der menschlichen Sexualitäten in
ihren vielen Formen, Variationen und Facetten betont. Über die
traditionellen sexologischen Felder Biologie, Physiologie und Medizin
hinaus hat die DGSS ihren Focus auf die Sozialwissenschaften,
Psychologie und Ethnologie gerichtet, unter Einschluss von
pädagogischen, juristischen und historischen Aspekten. Obwohl
immer auch Ärzte zu unseren Mitgliedern zählten, haben wir
rein medizinische bzw. psychoanalytische Sichtweisen zu verbreitern
gesucht. Anstatt uns an Heilern wie Freud und Reich oder an
Visionären wie Marx zu orientieren, schauten wir eher auf
Soziologen wie Durkheim, Weber und Elias und auf Kritische
Rationalisten wie Popper.
Erinnern wir
uns an die sechs Hauptfelder der DGSS-Arbeit der vergangenen 33 Jahre:
Feld Nr. 1:
Wissenschaftliche Forschung und Kongresse
Als
Institution und über die
Einrichtungen ihrer Mitglieder (d. h., Universitäten) hat die DGSS
zahlreiche Forschungsprojekte durchgeführt. Die Ergebnisse wurden
publiziert und auf bisher 16 sexologischen Kongressen präsentiert,
den "DGSS-Fachtagungen Sozialwissenschaftliche Sexualforschung". Sieben
fanden in Düsseldorf statt, fünf in Berlin, und je zwei ind
Bonn und Lüneburg. Sie waren international und
interdisziplinär ausgerichtet, mit folgenden Zentalthemen:
Heterosexualität
und Homosexualität: zwangsläufige Dichotomie?
Sexualtheorien
Geschlechtsrollen-Stereotypien: Soziale Bedingungen, Soziale Folgen,
Reaktionen
Elternrecht und Sexualerziehung
Sexualität und Gewalt
Sexualberatung
Die Sexualität des Menschen: ein sozialer Tatbestand?
Sexualitäten in unserer Gesellschaft
Sexualwissenschaft und Sexualpolitik / Schwerpunkt: AIDS
Bisexualitäten
Sexualität, Recht und Ethik
Vom Sinn und Nutzen der Sexualwissenschaft
100 Jahre Schwulenbewegung
For A Millennium of Sexual Health
Sexualitäten im 3. Jahrtausend
Sexualitäten und Sozialer Wandel
Die DGSS-Tagungen fanden großes Interesse im In- und
Ausland.Einige standen unter der Schirmherrschaft von Bundes- und
Landsministern. Am Kongress in Düsseldorf 1988 nahmen die
Präsidenten fünf nationaler und internationaler
Fachgesellschaften teil. Zur X. DGSS-Fachtagung 1990, die wie
ihre Vorläufer 1921 und 1926 im Reichstag
stattfand, kamen Experten aus 20 Staaten,
darunter namhafte Mitglieder der
Internationalen Akademie für Sexualforschung.
Dieser Kongress wurde von fünf sexologischen Fachgesellschaften
mitveranstaltet.
Feld Nr 2:
Wissenschaftliche Publikationen
Die Ergebnisse
der DGSS-Forschungen
wurden in einer Anzahl wissenschaftlicher Publikationen
veröffentlicht, einige ins Englische übersetzt. Seit 1986
erscheint eine " Schriftenreihe
Sozialwissenschaftliche
Sexualforschung", herausgegeben zunächst von mir
und Erwin J. Haeberle, seit 2003 von Gunter Runkel.
Feld Nr. 3:
Internationale Kooperation
Die DGSS legt
Wert auf die Kooperation
mit der internationalen sexologischen Community. Gegenwärtige und
ehemalige (Präsidiums-)Mitglieder vertraten sexologische Forschung
und Lehre auch im Ausland, vor allem in USA. Direkt bzw. über ihre
Präsidiumsmitglieder gehört die DGSS folgenden
internationalen Einrichtungen an:
- International Academy of Science,
- International Academy of Sex Research,
- European Federation of Sexology,
- Asian Federation for Sexology,
- World Association for Sexology,
- Society for the Scientific Study of Sexuality,
- Sexuality Information and Education Council of the United States,
- Shanghai Sex Sociology Research Center sowie
- Scientific Committees verschiedener Weltkongresse für Sexologie.
Feld Nr. 4:
Beratung
Während die
DGSS schon seit den
Anfängen im Jahr 1971 Beratung und Therapie anbot, ist seit 1978
das Institut für Lebens- und Sexualberatung ('DGSS-Institut')
unter meiner Leitung angegliedert. Seine Aufgaben:
Allgemeine Sexualberatung, Therapie
sexueller Funktionsstörungen, AIDS/HIV-Beratung mit Test
und vor allem die Beratung von bi- und homosexuell
liebenden Menschen, von Schwulen und Lesben ("Gay
Counseling"), durch selbst schwule Experten. - Bisher
wurden im DGSS-Institut über 30.000 Klienten
beraten. Besonders unsere eMail-Beratung erfreut sich grosser
Beliebtheit und erhielt wiederholt entsprechende Rankings.
Feld Nr. 5:
Internet-Präsenz
Seit 1996
stellt die DGSS als erste
deutschsprachige sexualwissenschaftliche Einrichtung ihre Arbeit im
Internet (www.sexologie.org) in deutsch und englisch vor, u. z. in 18
Bereichen, u. a.
- Sexualforschung,
- Sexualberatung,
- Schwulen-, Lesben-, Bi- und TransGender-Beratung,
- AIDS/HIV-Beratung und Test
- Archiv fü Sexualwissenschaft
- DGSS-Kongresse
- Sexologische Links
- Sexologie-Kurznachrichten sowie die äusserst populären
- Sex-FAQs.
Feld Nr. 6:
Pioniere
Im Lauf der
Zeit waren wir oft die ersten auf unserem Gebiet, was ich nicht ohne
Stolz sage. Etwa:
- 1971: Positive Schwulen-, Lesben- und Bisexuellen-Beratung
- 1974: Experten-Status in Richtlinien für Sexualerziehung
- 1976: Volkshochschul-Kurse für Schwule und Lesben
- 1978: Ganztags-Sexualberatung auch an Wochenenden
- 1983: AIDS-Forschung und -Beratung mit anonymem Test
- 1990: Regelmässige internationale Sexologen-Kongresse
- 1996: Sexologie-Seiten im Internet
- 2003: Internet-Kurse am Archiv für Sexualwissenschaft
.
Mit dieser erschöpfenden Liste beschliesse ich endlich die
Übersicht über meine 33 Jahre DGSS, um mich auf mein
Altenteil als Ehrenpräsident zurückzuziehen.
Aber doch
nicht so ganz. Denn ich werde noch
- meine Arbeit am DGSS-Institut fortsetzen,
- weiterhin die DGSS-Webseiten gestalten,
- meinen Mann Wolfgang Gindorf bei seiner Arbeit als Präsidiumsmitglied
und Sekretär unterstützen,
- und versuchen, dem Präsidium mit meinem Rat beiseitezustehen, wenn er
denn gefragt wird.
Und jetzt,
wenn die berühmten
letzten Worte von mir erwartet werden: Dank Ihnen und Euch allen
dafür, mich so lange ertragen zu haben.
Wir hören noch voneinander! :-)
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Rolf Gindorf's Parting Reply
to Gunter Runkel's Laudation Speech:
"33 Years of DGSS -
Thanks and no Good-Bye"
Dear Recipients of the Magnus
Hirschfeld Awards,
My Learned Colleagues,
Ladies and Gentlemen,
Dear Gunter,
Good practice and a sense of gratitude require me to thank you for the
honor that was just bestowed on me. I shall not comment on all the
wonderful things said about me but will take the liberty of adding a
few words on what has been called by some my brain child. If this will
sound like a laudation speech
on the DGSS, simply put this down to my old age and my 33 years as a
DGSS president or vice president.
At the
beginning, sexologists were mostly medical sexologists. But obviously
medicine isn’t all there is to sex, so in 1971 I decided, along with
some friends, that sexology was too important to leave it to the
physicians alone - who after all are dealing with illnesses, with
health disturbances. We felt that something should be done about this
sort of one-eyedness. So we founded the DGSS, with the accent not on
medicine but on the social sciences. (Of course, this is not denying
the importance of our medical colleagues who in fact have always been
present in the DGSS, and who happen to make up more than 20% of the
invited speakers at this conference.)
So, from the
very beginning, the DGSS has emphasized the importance of the social,
behavioural, and cultural sciences for an adequate understanding of the
human sexualities in their many forms, facets, and variations. In
addition to traditional sexological fields like biology, physiology,
and medicine, the DGSS focus has centered on the social sciences,
psychology, and ethnology, embracing also educational, legal, and
historical aspects. Thus, although as I mentioned there have always
been physicians among its members, the DGSS has tried to broaden the
purely medical or traditional psychoanalytical views.
Instead of looking to healers like Freud and Reich, or to visionaries
like Marx, the DGSS has looked for guidance to sociologists like
Durkheim, Weber, and Elias, and to critical rationalists like Popper.
Now please let
me call to mind the six main fields of DGSS activity over the past 33
years:
Field No. 1:
Scientific Research and Conferences
Both as an
instutition and through the facilities of its members (i.e.,
universities) the DGSS has been conducting many research projects. The
results were published and presented at 16 sexological conferences,
the "DGSS Congresses of Social Scientific Sexuality Research”. Seven
took place in Düsseldorf, five in Berlin, and two each in Bonn and
Lüneburg. Interdisciplinary and international in scope, they had the
following central themes:
Heterosexuality
and Homosexuality: An Inevitable Dichotomy?
Sexological Theories
Gender Role Stereotypes: Social Conditions, Social Consequences,
Reactions
Parents’ Rights and Sex Education
Sexuality and Violence
Sexual Counseling
Human Sexualities: “Social Facts”?
Sexualities in our Society
Sexual Science and Sexual Politics / Focus: AIDS
Bisexualitities
Sexuality, Law, and Ethics
On the Purpose and Use of Sexology
100 Years of Gay Liberation
For A Millennium of Sexual Health
Sexualities in the Third Millennium
Sexualities and Social Change.
These DGSS congresses met with great sexological and public
interest both in Germany and abroad. Some of them were under the
patronage of Federal and State Ministers. The Düsseldorf
conference in 1988 was attended by the presidents of five national and
international sexological societies. The 1990 congress took place in
the Reichstag like its historic predecessors in 1921 and 1926,
hosting experts from 20 countries, among them scholars from the
“International Academy for Sex Research”. That conference
was co-hosted by five sexological societies.
Field No. 2:
Scientific Publications
DGSS research
results have been widely publicized in a number of academic books, some
of them also in English.
Since 1986 a DGSS book series has been appearing, edited for the DGSS
orginally by me and Erwin J. Haeberle, meanwhile by Gunter Runkel,
called the Schriftenreihe Sozialwissenschaftliche
Sexualforschung (Book Series Social Scientific Sexuality Research).
Field No. 3:
International Cooperation
The DGSS
emphasizes the value of cooperation with the international sexological
community. Present and Past DGSS board members have researched and
taught abroad, especially the United Stated. Directly or through its
board members the DGSS belongs to the
- International Academy of Science, the
- International Academy of Sex Research, the
- European Federation of Sexology, the
- Asian Federation for Sexology, the
- World Association for Sexology, the
- Society for the Scientific Study of Sexuality, the
- Sexuality Information and Education Council of the United States,
the
- Shanghai Sex Sociology Research Center, and the
- Scientific Committees of various World Congresses of Sexology
Field No. 4:
Counseling
While
counseling and therapy had been provided from the very beginnings in
1971, the DGSS added in 1978 a special counseling institute to its
scientific and research activities. We provide Sexuality Counseling,
Gay/Lesbian Counseling, and AIDS/HIV Counseling and Testing. Since
then, more than 30,000 clients received counseling or therapy. Gay and
bisexual people, meeting openly gay counselors like me, form the
largest client group. AIDS counseling and HIV antibody testing have
been provided since 1983.
Especially the DGSS eMail counselling service is very popular and was
repeatedly awarded the highest ranking.
Field No. 5:
Internet Presence
Since 1996 the
DGSS, as the first German-language sexological institution, has been
presenting its work also via the Internet (www. sexologie.org), both
in German and English. The DGSS web site covers 18 main areas, among
them
- Sexual Research,
- Sexual Counseling,
- Gay/Lesbian/Bisexual Counseling,
- AIDS/HIV Counseling and Testing,
- Archive for Sexology,
- DGSS Congresses,
- Sexological Links,
- Sexology News,
- and the immensely popular Sex-FAQs.
Field No. 6:
Scoops
Over the years
the DGSS managed to score some scoops. So, and I’m saying this not
entirely without a trace of vanity, we were first in Germany to boast in
- 1971: Affirmative Counseling for Gays, Lesbians and Bisexuals
- 1974: Expert Status in Government Guidelines for Sex Education
- 1976: Courses for Gays + Lesbians at Adult Education Colleges
- 1978: 13-Hours-A-Day, 7-Days-A-Week Sexual Counseling
- 1983: AIDS Research, Counseling and Anonymous Testing
- 1990: Recurring Bilingual International Sexology Conferences
- 1996: A Sexology Web Site
- 2003: Sexology Courses via Internet at the Archive for Sexology
.
With this exhausting list, let me at long last end this summary of my
33 years of sexology, and retreat to the rest and calm befitting of a
Senior Citizen and DGSS Honorary President.
Well, not
quite, for I shall
- continue my work at our DGSS counselling institute in Düsseldorf,
- go on being web master for our web site,
- support my fellow board member and husband Wolfgang Gindorf in his
DGSS managing and accounting tasks,
- and offer any advice that the DGSS board might feel I could give
them. If and when asked ...
And now, just
in case I’m expected to close with some famous last words: Thank you
all for bearing with me all these years. We'll be hearing from each
other! :-)
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