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Karl Grammer, Wien:

Sexualität und Geruch
Die Rolle von Pheromonen in der Reproduktionsbiologie des Menschen

Die Bedeutung des menschlichen Geruchssinns ist in der Vergangenheit oft unterschätzt worden. Viele Leute glauben, dass die menschliche Geruchsschärfe und -spezifität abgenommen hat. Andere Säugetiere werden als “makrosmat” (d.h. mit ausgezeichnetem Geruchssinn) betrachtet, weil sie über mehr olfaktorische Rezeptorzellen in der Nasenschleimhaut verfügen als der Mensch. So verfügen zum Beispiel Hunde über mehr als 230 Millionen Geruchsrezeptoren, während der Mensch lediglich 10 Millionen dieser Rezeptoren aufweist. Daher nimmt man landläufig an, dass Menschen und andere Primaten als “mikrosmate” (also mit schlechterem Geruchssinn) Säuger betrachtet werden müssen, deren optischer Sinn hochentwickelt ist und sie deshalb zu “Augentieren” macht.

Dieses Konzept muss überdacht werden, seit viele neue Studien gezeigt haben, dass die Olfaktion eine wichtige Rolle in der Reproduktionsbiologie des Menschen spielt und diese wiederum einen wichtigen Bestandteil des menschlichen Verhaltens darstellt. Die ‘affective primacy hypothesis’ nimmt an, dass positive und negative affektive Reaktionen durch minimale Stimuli und praktisch ohne kognitive Verarbeitung hervorgerufen werden können. Olfaktorische Signale scheinen emotionale Reaktionen hervorzurufen, unabhängig davon, ob ein chemischer Reiz bewusst wahrgenommen werden kann, oder nicht.

Wir nehmen an, dass die Bedeutung der nonverbalen Signale beim Menschen auf Informationsverarbeitung, die im limbischen System und ohne kognitive (kortikale) Beurteilung abläuft, basiert. Das bedeutet also, dass Affekt keine bewusste Interpretation des Signalinhalts erfordert. Dieser Annahme liegt auch zugrunde, dass Affekte soziale Interaktionen dominieren und sozusagen die hauptsächliche “Währung” in sozialen Interaktionen darstellen. Olfaktorischer Input aus der sozialen Umwelt passt hervorragend in diese Annahme, wie sich am Beispiel der Partnerwahl verdeutlichen läst: chemische Reize ermöglichen es dem Menschen, nach Hinweisen auf reproduktive Fitness eines potentiellen Partners zu suchen und die Partnerwahl dahingehend zu steuern, da diese Merkmale der reproduktiven Fitness nicht allein durch optische Hinweise vermittelt werden können. Ich werde hierfür folgende Beispiele vorstellen: die unbewusste Wahrnehmung männlicher und weiblicher Pheromone und ihre Auswirkung auf die kognitive Verarbeitung, den Einfluss von physischer Attraktivität auf Geruch und Wahrnehmung und die Wahrnehmung von Angst im Körpergeruch.

Die universelle Natur des Ausdrucks von Emotionen in unterschiedlichen Arten legt eine gemeinsame Evolution und die fundamentale Natur des Affekts nahe. Vom Standpunkt der Phylogenie aus betrachtet, ist Affekt eindeutig ursprünglicher als Sprache. Affekt kommt vor der evolvierten Sprache und unsere heutigen Art zu denken. Viele Studien haben gezeigt, dass der Einfluss des Affekts auf Signalerkennung und -verarbeitung lange Zeit unterbewertet wurde. Neben der Übereinkunft, dass die Affekt-Kognition-Diskussion wichtig für die Erforschung des nonverbalen Verhaltens ist, gibt es aber noch viele offene Fragen.

Zur Person:

Karl Grammer (geb. 1950) schloss das Diplomstudium der Biologie 1979 an der Universität München und dem Forschungsinstitut für Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft unter Betreuung durch I. Eibl-Eibesfeldt ab. Seine Diplomarbeit hatte „Helfen und Unterstützen bei Vorschulkindern“ zum Thema. Er erhielt sein Doktorat in Biologie 1982 an der Universität München und dem Forschungsinstitut für Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit „Wettkampf und Kooperation: Intervention bei Konflikten zwischen Vorschulkindern“. 1983 wurde er Assistenzprofessor am Forschungsinstitut für Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft. 1990 habilitierte er sich über soziale Manipulation und Kommunikation an der Universität Wien und 1991 wurde er (gemeinsam mit Prof. Eibl-Eibesfeldt) wissenschaftlicher Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Stadtethologie in Wien. 1992 wurde Prof. Grammer zum Sekretär der Internationalen Gesellschaft für Humanethologie gewählt. 2002 wurde er mit dem Zdenek Klein Award für seine intergrative Forschungsarbeit ausgezeichnet und 2003 gewann er den FWFF Preis für technische und wissenschaftliche Innovationen. Momentan liegt der Focus seines wissenschaftlichen Interesses auf Kommunikationsforschung und der Simulation nonverbalen Verhaltens.

Anschrift:
Prof. Dr. Karl Grammer
Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadt-Ethologie
am Institut für Anthropologie/ Universität Wien
Althanstrasse 14
A-1090 Wien/Österreich
email: karl.grammer@univie.ac.at

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